Rede zum Nachtragshaushalt 27. Dezember 202427. Januar 2025 Rede zum Entwurf der Nachtragshaushaltssatzung für das Haushaltsjahr 2024 (TOP 5.1) in der Kreistagssitzung am 12.12.2024, gehalten von Dr. Jan Marien, Bündnis 90/ Die Grünen, Kreistagsabgeordneter und Mitglied des Kreistages. Die Sitzung wurde aufgezeichnet und auf Youtube veröffentlicht. Alle Reden aus dem Kreistag können hier nachgesehen werden. Sehr geehrter Herr Kreistagsvorsitzender, Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen heute einen Nachtragshaushalt beschließen, den der bisherige Landrat Schuster am 28.10. in den Kreistag eingebracht hat. Interessanterweise hat er in seiner Einbringungsrede ausdrücklich nicht als Landrat, sondern als Vizepräsident des deutschen Landkreistages gesprochen. In dieser Rolle hat er dann auch den Bogen größer gespannt und über die finanzielle Ausstattung der Kommunen und Landkreise jetzt und in der Zukunft gesprochen. Insofern möchte ich auch zunächst genau darauf antworten – um dann aber noch auf den Themenbereich des Nachtragshaushaltes hier im Lahn-Dill Kreis einzugehen. Die kommunale Ebene, also Städte, Gemeinden und eben auch die Landkreise, werden aus jetziger Sicht rund 13 Mrd. Euro an Defizit erwirtschaften. Davon entfallen auf die Landkreise rund 2,6 Mrd. Euro Defizite. Von den 294 Landkreisen werden dieses Jahr 240 Landkreise Schwierigkeiten haben, den Haushalt auszugleichen. Während die Aufgaben weitestgehend gesetzlich vorgegeben sind, werden die Landkreise einerseits durch Zuweisungen vom Land und andererseits durch die Umlagen an den Gemeinden finanziert. Letztere ist aber dadurch begrenzt, dass die Kommunen selber große Probleme haben, ihre Haushalte auszugleichen. Eine Erhöhung der Kreisumlage würde also nur zu noch mehr Defiziten in den Kommunen führen. Art. 28 Abs (2) GG legt nun aber fest, dass „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“ und weiter: „Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung“. Diese Grundsätze sind so auch auf Landkreise anzuwenden und aus diesem Grund haben sich in der letzten Woche die Landkreise Mansfeld-Südharz und der Salzlandkreis an das Bundesverfassungsgericht gewandt, um die Frage der Kreisumlage und damit letztlich die einer auskömmlichen Finanzierung höchstrichterlich klären zu lassen. Was die juristische Klärung ergibt, wird sich zeigen: Das politische Problem allerdings ist umrissen. In Zeiten schwacher Wirtschaft, damit sinkenden Steuereinnahmen und gleichzeitig immer höheren Ansprüchen an den Staat stellt sich die Frage, welche Aufgaben der Staat überhaupt noch übernehmen und finanzieren kann und welche Konsequenzen dies auf eine gebotene Aufteilung der Einnahmen auf Bund, Land und Kommunen hat. Das Thema einer zukunftsgerichteten Wirtschaftsentwicklung, zumindest in unser Region, werden wir ja voraussichtlich noch später diskutieren. Die Fragen der Leistungsansprüche kann in diesem Kreistag nicht diskutiert werden, wird aber sicherlich Gegenstand intensiver politischer Auseinandersetzung im Bundestagswahlkampf sein. Ansprechen möchte ich aber schon die Frage der Finanzausstattung der kommunalen Ebene, für die ja das Land Hessen verantwortlich ist. Hier im Kreis sind Union und SPD ja noch frisch verliebt, sie befinden sich gewissermaßen noch in den Flitterwochen. Im Land Hessen hat genau diese politische Konstellation ja aber bald ihr erstes Ehejahr hinter sich und hat dort gerade Vorschläge zu den Kommunalfinanzen gemacht, die mich doch sehr wundern. So soll der KFA nicht mehr um 600 Mio., sondern nur noch um 200 Mio. Euro anwachsen. Wohl wissend, dass vor dem Hintergrund der steigenden Aufgaben und Ausgaben dies die Kommunen in große Haushaltsnöte bringen wird, ist dieses Miniwachstum nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Land versendet den Finanzierungserlass sehr spät und kündigt gleichzeitig an, verspätete Haushaltsbeschlüsse nicht zu rügen, die kommunalen Haushalte dieses Jahr schnell zu genehmigen und flexibel auch nicht ausgeglichene Haushalte zu genehmigen. Das ist ein echter Paradigmenwechsel. Damit werden wieder Kassenkredite akzeptiert, die nach dem Entschuldungsprogramm „Hessenkasse“ der Vergangenheit angehören sollten. Und wie wir in der letzten Sitzung der HFWO gehört haben, wird auch unser Landkreis wieder Kassenkredite aufnehmen. Zwei Punkte sind besonders verwunderlich: Die Kommunen werden aufgefordert, im Sinne eines Haushaltsausgleiches ggf. die Grundsteuer zu erhöhen. Die Grundsteuerreform an sich wird im kommenden Jahr zu viel Unmut führen, da sich die Belastungen deutlich verschieben werden. Einige werden deutlich mehr zahlen, andere dafür deutlich weniger. Das große Versprechen aber war immer, dass diese Reform in Summe aufkommensneutral durchgeführt werden sollte. Im Kern schlägt die hessische Landesregierung hier einen großen Vertrauensbruch vor. Für uns als Kreis heißt das: Von einer Erhöhung der Kreisumlage, die unsere Gemeinden bei tendenziell fallenden Gewerbesteuereinnahmen tatsächlich dazu nötigen würde, die Grundsteuerhebesätze weiter zu erhöhen, sollten wir absehen. Der zweite Sachverhalt geht auf eine Entscheidung des BVG aus dem Jahre 1995 zurück. In diesem Jahr erklärte das BVG die Vermögenssteuer in der damaligen Form für verfassungswidrig, seitdem ist sie ausgesetzt. Bislang fehlt eine politische Mehrheit, sie verfassungskonform neu zu gestalten. Da die Vermögenssteuer eine Landessteuer ist, ist zur Kompensation die Grunderwerbssteuer in Hessen stufenweise auf 6% angehoben worden. Nur 4 Bundesländer haben eine noch höhere Grunderwerbssteuer. Und jetzt stellt die hess. Landesregierung fest, dass dies ein Problem ist, insbesondere für Menschen und Familien, die zum ersten Mal Wohneigentum erwerben wollen. Dies soll durch das sogenannte „Hessengeld“ kompensiert werden. Eine sehr teure und wenig zielgenaue Maßnahme. Und gleichzeitig wird der KFA nicht wie ursprünglich geplant angehoben. Das nenne ich Umverteilung zu Lasten der kommunalen Ebene. Soviel zur Einordnung in die aktuelle finanzielle Situation der kommunalen Ebene. Zum konkreten Sachverhalt. Die Gründe des höheren Defizites sind in den Ausschüssen bereits ausführlich beraten worden. Im wesentlich sind dies reduzierte Erstattungen von Kosten im Zusammenhang mit der Flüchtlingsunterbringung. Aus unserer Sicht würden wir es uns aber etwas zu einfach machen, wenn wir einfach feststellen würden: das ist halt so. Auf unseren Vorschlag hin hat uns Herr Kreisbeigeordneter Aurand ja dankenswerter Weise Vergleichszahlen aus den anderen hessischen Landkreisen zukommen lassen. Dies sind vorläufige Zahlen, Stand Oktober 2024; man kann zwar erkennen, dass sich in Summe die Defizite der Landkreise vergrößern, in Summe um rund 162 Mio. Euro. Ein Blick auf die einzelnen Landkreise zeigt aber, dass sich die Veränderung vom Mai zum Oktober 2024 in den einzelnen Landkreisen sehr unterschiedlich gestaltet. Der Lahn-Dill Kreis gehört dabei zu den Landkreisen mit einem hohen Anstieg des Defizites, nur bei zwei Landkreisen ist der Anstieg noch größer. Gerade im Vergleich zu unseren mittelhessischen Landkreisen ist der Lahn-Dill Kreis unrühmliche Ausnahme. Jetzt sind die Ursachen und Gründe und auch die Spezifika der einzelnen Landkreise den Zahlen nicht zu entnehmen. Wichtig ist mir an dieser Stelle noch zu betonen, dass erwartbar das Thema Flucht und Migration von den Abgeordneten hier zu meiner Rechten wieder in grundsätzlicher Art und Weise thematisiert wird. Auf Kreisebene geht es aber vor allem darum, wie wir die uns gesetzlich zugewiesenen Aufgaben so effizient wie möglich organisieren. Lassen Sie mich dazu einige Gedanken bzw. Fragen teilen: Wir sollten auf provisorische Gemeinschaftsunterkünfte, so gut es eben geht, in der Zukunft verzichten. Uns ist sehr wohl bewusst, dass der Wohnungsmarkt aktuell sehr angespannt ist und die eigentlich wünschenswerte Einzelunterbringung nur bedingt möglich ist. Gerade große provisorische Sammelunterkünfte stellen aber häufig die schlechteste aller Alternativen dar: sie sind vergleichsweise teuer, sie haben hohe Betriebskosten, und sie sind auch unter dem Aspektes des Zusammenlebens vieler Menschen auf engem Raum sehr problematisch. Insofern begrüßen wir es auf jeden Fall, wenn die provisorischen Gemeinschaftsunterkünfte jetzt möglichst schnell wieder aufgelöst werden Ein weiteres Thema wird Leerstandsvermeidung sein: Wir sind in der damaligen Situation von hohen Prognosewerten ausgegangen, die dann in der der Realität zum Glück nicht in der Höhe eingetreten sind. Hier also die Frage: wie lässt sich in der Zukunft besser planen, ggf. auch zusammen mit den Kommunen, bzw. wie können wir uns an dieser Stelle flexibler aufstellen? Aus den Unterlagen war ersichtlich, dass die Unterbringung bereits im Jahr 2023 nicht kostendeckend war; hier stellen wir uns die Frage, ob nicht die Änderung der Gebührensatzung, die wir gerade beschlossen haben, bereits früher möglich gewesen wäre? Wir reden hier immerhin um eine Verbesserung der Einnahmeseite von ca. 4 Mio. € pro Jahr. Auch sehen wir es als zielführend an, wenn wir gemeinsam diskutieren, wie für alle Personen mit einem entsprechenden Aufenthaltsstatus eine möglichst schnelle und pragmatische Integration in den Arbeitsmarkt organisiert werden kann. Hier sollten wir alle Möglichkeiten ausloten, die in unserer Zuständigkeit als Kreis liegen. Und als letztes an dieser Stelle noch eine Idee, die wir in der Folge vielleicht einmal vertieft diskutieren sollten: Wäre es nicht sinnvoll, wenn wir einmal prüfen, ob im Rahmen einer allgemeinen Krisenvorsorge nicht dauerhafte Notunterkünfte eingerichtet werden können, etwa auch im Kontext eines gesamtheitlichen Katastrophen- und Krisenmanagements. Damit könnte man nicht nur für den Fall eines plötzlichen Fluchtgeschehens, sondern auch für andere Notsituationen, die kurzfristig die Unterbringung einer größeren Anzahl von Personen erforderlich machen, eine dauerhafte Einrichtung schaffen die im Bedarfsfall schnell zu aktivieren ist. Abschließen möchte ich jetzt hier mit folgender Aussage: Der neue Landrat Carsten Braun hat ja eine neue Kultur und neue Form der Zusammenarbeit im Kreistag angekündigt. Dieses Angebot möchten wir im Sinne einer konstruktiv-kritischen Zusammenarbeit mit der neuen Koalition (bzw. Kooperation) gerne annehmen und uns entsprechend einbringen. Vielleicht gelingt uns hier im Kreis ja wirklich eine andere politische Kultur als in Berlin zu etablieren, wo ein Vorschlag nur deshalb bereits schlecht ist, weil er von der jeweils anderen Seite kommt. Also, lassen sie uns im Dialog um gute Lösungen für den Landkreis und seine Bürgerinnen und Bürger aus unseren unterschiedlichen Perspektiven heraus debattieren und um die beste Lösung ringen und dann auch zu gemeinsamen Lösungen kommen. Die Herausforderungen, mit den finanziellen Mitteln möglichst sorgsam und effizient umzugehen, werden in den folgenden Jahren noch deutlich steigen. Unabhängig von dem, was uns von anderen Ebenen als Rahmen gesetzt wird, sollten wir hier, bei allem, was wir selbst organisieren können, gemeinsam alle Potentiale heben. Da wir für den größten Teil des Jahres mit in der politischen Verantwortung für den Haushalt waren, werden wir als Fraktion dem zu beschließenden Haushalt auch mehrheitlich zustimmen. Vielen Dank