Rede zur „Agrardieselvergütung und Kfz-Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge muss bestehen bleiben!“

 
Rede zum Resolutions-Antrag „Agrardieselvergütung und Kfz-Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge muss bestehen bleiben!“ (Antrag der CDU), in der 22. Kreistagssitzung am 05.02.2024, gehalten von Dr. Jan Marien, Bündnis 90/ Die Grünen, Mitglied des Kreistages. Hier gehts zum Youtube-Video.

 

„Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sehr gehrte Gäste,

 

Lassen Sie mich mit mit einigen Vorbemerkungen starten:

Als im Dezember die Pläne zur Streichung der Argrardiesel-Subventionierung und der KfZ-Steuer für agrar- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge bekannt wurden, da habe ich mich über zwei Dinge geärgert:

Da ist zum einen die Kurzfristigkeit dieser Maßnahmen. Jeder Mensch plant sein Leben und trifft Entscheidungen auf Basis der existierenden Rahmenbedingungen. Dies gilt im privaten, noch viel mehr aber im Wirtschaftsleben. Und wenn solche Planungen dann durch abrupte und kurzfristige Veränderungen hinfällig werden, führt dies zwangsläufig zu Ärger und, was noch viel gravierender ist, zu einem Vertrauensverlust. Und einmal verloren gegangenes Vertrauen ist nur sehr mühsam zurückzugewinnen. Aber nur mit Vertrauen lassen sich die großen Herausforderungen, vor denen wir in vielen Bereichen stehen, gemeinsam mit den Menschen gestalten.

Zum anderen habe ich mich gefragt: Warum gerade die Landwirtschaft? Warum wieder eine Entscheidung, die scheinbar den ländlichen Raum im besonderen Maße trifft? Unabhängig davon, ob es wirklich so ist oder nicht: Es fühlt sich auf jeden Fall so an und befördert das Empfinden, dass in Berlin Entscheidungen getroffen werden, die die Belange ländlicher Regionen nicht oder zumindest nicht ausreichend berücksichtigen.

Insofern, lassen Sie mich das hier einmal ganz deutlich sagen, kann ich den Ärger und die Enttäuschung der der Landwirte aus dem Dezember letzten Jahres sehr gut nachempfinden.

Und dann bekommen wir nur wenige Tage später diesen Eil-Antrag der CDU vorgelegt, und schon wieder spüre ich Ärger: Wollten wir nicht auf Resolutionsanträge verzichten? Wollen wir wirklich unsere Zeit hier im Kreistag mit Themen verbringen, für die wir ganz sicherlich keinen Auftrag der Wählerinnen und Wähler haben? Hier diskutiert Bundes- und Landespolitik intensiv und kontrovers und glauben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, wirklich und ernsthaft, dass eine Resolution des Kreistages des Lahn-Dill Kreises in dieser Situation die bundes- und landespolitischen Debatten irgendwie beeinflusst?

Der größte Teil der hier anwesenden Kreistagsabgeordneten ist im Ehrenamt tätig und möchte durch ihre oder seine Tätigkeit die realen Lebensverhältnisse hier im Kreis verbessern. Und wenn ich mir die letzten Sitzungen (oder auch die heutige) anschaue, dann frage ich mich schon, wofür wir hier unsere kostbare Zeit einsetzen.

Am Samstag haben hier in Wetzlar mehrere tausend Menschen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und Rassismus demonstriert. Wenn es eines Bekenntnisses aller demokratischen Kräfte in diesem Hause bedarf, dann doch, dass wir genau diesem Auftrag nachkommen: Lassen Sie uns den Bürgern beweisen, dass wir hier — in der Sache auch kontrovers — aber in guter demokratischer Tradition die Angelegenheiten des Kreises voranbringen.

Da Sie aber das Thema hier eingebracht haben, möchte ich Ihnen auch kurz zur Sache antworten.

Die Steuerbefreiung in der KfZ-Steuer für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge wird weiterbestehen. Die Streichung ist zurückgenommen. Die Subventionierung des sogenannten Agrardiesels wird jetzt stufenweise reduziert: um 40% in diesem Jahr, und in den beiden Folgejahren dann noch einmal um jeweils 30%, so dass sie dann im Jahr 2026 ganz entfällt. Dies ist am letzten Freitag vom Bundestag so beschlossen werden und muss jetzt noch den Bundesrat passieren.

Damit sind die ursprünglichen geplanten Belastungen der Landwirtinnen und Landwirte wesentlich reduziert worden; ein Kompromiss macht niemanden ganz zufrieden, ist aber das Wesen demokratischer Aushandlungsprozesse.

Was bedeutet das jetzt für die Betriebe? Das lässt sich deshalb kaum beschreiben, weil es nicht DEN landwirtschaftlichen Betrieb gibt. Je nach Betriebsgröße, den erzeugten Gütern, der Frage Haupt- oder Nebenerwerb-, der bewirtschafteten Ackerfläche, der jeweiligen Ertragslage  und weiterer Merkmale können die Auswirkungen ganz unterschiedlich sein. Insofern hilft hier die Aufzählung von Mittelwerten auch nur bedingt. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bekam in den Jahren 2020/21 im Schnitt jeder Betrieb rund 3000 Euro pro Jahr aus diesem Topf.

Der Entfall dieser Subvention ist also eine Belastung für viele Betrieb. Gleichwohl hält die überwiegende Mehrzahl der Agrarökonomen und Fachleute den Entfall dieser Subvention für gut begründet.

Die Proteste und der Widerstand gegen diese Entscheidungen haben sich inzwischen aber ins Grundsätzliche gewendet. Es geht inzwischen nicht mehr nur um Dieselsubventionen. Offenkundig wird die Ampel – und insbesondere wir Grünen – dafür besonders in die Verantwortung genommen — wie zwischen den Jahren freundlich vor unser Kreisgeschäftsstelle platzierte Kübel mit Mist bezeugen oder auch der Besuch einiger Landwirtinnen und Landwirte beim Jahresempfang der Braunfelser Grünen gezeigt hat.

Die Landwirtschaft steht seit Jahrzehnten wie kaum eine andere Branche in einem Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie. Der Markt erfordert eine effiziente, kostengünstige Produktion zu stark schwankenden Preisen, da diese vom Weltmarkt abhängig sind und unsere Landwirtschaft in hohem Maße exportiert. Etwa 1/3 aller deutschen Agrarprodukte werden exportiert.

Andererseits ist die Erwartungshaltung hoch, dass die Landwirtinnen und Landwirte durch ihre Tätigkeit zum Klimaschutz, zum Schutz der Biodiversität, zum Erhalt der Böden, zum Schutz des Grundwassers, für eine artgerechte Nutztierhaltung beitragen.

Um diesen Konflikt aufzulösen, braucht es andere, bessere Rahmenbedingungen. Und wer hat auf Bundesebene (und damit auch wesentlich auf der EU-Ebene) die letzten Jahrzehnte die Verantwortung getragen? In den letzten 40 Jahren ist das Bundeslandwirtschaftsministerium 31 Jahre von der Union (davon 22 Jahre von der CSU) geführt worden.

Auch deshalb habe ich mich sehr über diesen Antrag gewundert: die Partei, die wesentlich für die jetzigen Strukturen verantwortlich ist, sollte in der Agrarpolitik doch etwas demütiger auftreten.

Lassen Sie uns vielmehr alle nach zukunftweisenden Lösungen suchen:

  • Wir müssen die Landwirtinnen und Landwirte darin unterstützen, eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber übermächtigen Lebensmittelkonzernen zu finden. Landwirte sollten endlich faire Preise für Ihre Erzeugnisse bekommen.
  • Dazu gehört auch, dass wir Verbraucherinnen und Verbraucher bereit sind, für bessere Bedingungen in der Tierhaltung unseren Beitrag zu leisten: etwa durch eine Tierwohlabgabe, um den Landwirten zu ermöglichen, ihre Ställe entsprechend umzubauen
  • Lassen Sie uns endlich die EU-Subventionen überführen in ein System, in dem wir nicht mehr Fläche, sondern die Leistungen der Landwirte an unseren Lebensgrundlagen vergüten; auch hier können Bund und Länder helfen. So ist das hessische Programm Vielfältige Ackerbaukulturen äußerst erfolgreich und wendet sich sowohl an öko- wie an konventionell wirtschaftende Betriebe.
  • Gerade die Flächensubventionen werden vielfach zu großen Teilen vom Pächter an den Landbesitzer durchgereicht: Lassen Sie uns einen Weg finden, die Spekulation mit landwirtschaftlichen Flächen zu beenden und endlich kleinen und mittleren Betrieben wieder eine Perspektive geben, dauerhaft und auskömmlich wirtschaften zu können.

Lassen Sie mich an dieser Stelle zusammenfassen: Uns liegt sehr an dem Erhalt einer mittelständischen und familiengeführten Landwirtschaft im Kreis und im Land.

Das System der jetzigen Subventionierung muss aber grundlegend umgebaut werden, so dass Ökologie und Tierethik für den einzelnen Betrieb einen betriebswirtschaftlichen Vorteil bedeutet.

Ihren Antrag werden wir selbstverständlich ablehnen, da wir als Kreistag hier keinerlei Zuständigkeit haben.

Vielen Dank“

 

 

 

 

 

 

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